New York ist eine Stadt der Diversität. In kaum einer anderen Metropole dieser Welt leben so viele unterschiedliche Nationalitäten auf so engem Raum miteinander. Die Einwohner der Stadt setzen sich aus zahlreichen Herkunftsländern zusammen, die in New York sogar teils in eigenen Vierteln wohnen. Von Little Italy hatte ich dir zum Beispiel hier schon einmal erzählt und über die Puerto Ricanische Gemeinde in Williamsburg in diesem Beitrag. Dass es aber heute auch ein „Little Germany“ in New York hätte geben können, ist weitestgehend nicht bekannt.
Lesestoff:
Little Germany in New York
Das Viertel New Yorks, das wir als „East Village“ kennen, hätte heutzutage auch als ein Little Germany bekannt sein können. Im 19. Jahrhundert waren unzählige Deutsche im Rahmen einer großen Einwanderungswelle nach New York gekommen und hatten sich in dem Gebiet rund um den Tompkins Square Park in East Village niedergelassen.
Die deutsche Siedlung wuchs stetig, sodass in den 1870er Jahren dort angeblich 140.000 Deutsche lebten, Anfang des 20. Jahrhunderts sollen es um die 60.000 gewesen sein. „Deutschländle“ nannten die Bewohner ihr kleines Quartier im südöstlichen Teil Manhattans, in dem es Biergärten, Bäckereien und typische deutsche Lokale gab.
Hippe Blumenläden und Cafés prägen das Bild des Viertels heutzutage – Von typisch deutschen Bäckereien ist hier weit und breit keine Spur mehr
Die Scolum-Katastrophe
Doch wie konnte es dazu kommen, dass von dem Viertel, in dem einst immerhin über 100.000 Deutsche lebten, in New York heutzutage so wirklich gar nichts mehr übrig geblieben ist?
Schuld ist eine Schiffstragödie, die sich im Jahr 1904 zugetragen hatte. Mit über 1300 Menschen an Bord der „General Scolum“, einem Raddampfer, der für damalige Zeiten als besonders luxuriös angesehen wurde, legte das Schiff am 15. Juni 1904 von Manhattan ab und sollte die Gäste zu einem jährlichen Picknick-Treffen auf Long Island manövrieren.
Unter den Passagieren befanden sich einige der reichsten Bewohner der deutschen Bevölkerung – darunter viele Frauen und Kinder, da der Ausflug an einem Mittwoch stattfand, an dem die männliche Bevölkerung arbeitete – und damit schlussendlich diejenigen Personen, die die Gemeinschaft finanziell vorantrieben.
Kurz nach Ablegen des Schiffs brach an Bord jedoch ein Feuer aus, das nicht gelöscht werden konnte und obwohl es sogar Rettungsausrüstung auf dem Schiff gab, war diese in einem teilweise nicht mehr brauchbaren Zustand.
Die Passagiere waren mehr oder weniger ihrem Schicksal überlassen, einige von ihnen ersticketen, andere ertranken. Knapp 1000, der 1300 Menschen an Bord starben an diesem Tag und was zu diesem Zeitpunkt sicher noch niemand gewusst haben konnte: mit ihnen sollte auch „Little Germany“ sterben.
Tatsächlich ist diese Schiffskatastrophe als größtes tödliches Unglück vor dem 11. September in die New Yorker Geschichte eingegangen. Zwar wurde die Anzahl der Toten des Schiffsunglücks auf knapp über 1000 eingestuft, da aber viele der Kinder ohne Ticket hatten mitfahren dürfen, wird die Dunkelziffer sogar noch höher eingeschätzt.
Ein Unglück mit Folgen
Auch wenn nur ein sehr kleiner Teil der deutschen Gesamtbevölkerung an diesem Tag verunglückt war, so befanden sich unter den Toten doch die einflussreichsten und „wichtigsten“ Personen für das Zusammenleben der Gemeinschaft.
Nachgezogene Einwanderer verfügten meist nicht über das Geld, das kleine Viertel weiter voranzutreiben. Viele der typisch deutschen Läden wurden geschlossen, da sie schlicht keine Eigentümer mehr hatten. Schulen hatten ihre Schüler durch das Unglück verloren und Familien ihre Mitglieder. Einige der Hinterbliebenen sollen in den Folgejahren Selbstmord begangen haben, wieder andere seien weggezogen heißt es, teils in andere Ecken New Yorks (v.a. die Upper East Side), teils ganz fort aus der Stadt.
Die Gemeinschaft hatte ihren Zusammenhalt verloren und als es schließlich auch noch um Entschädigungszahlungen im Nachgang zu dem Unglück ging, zerbrach die deutsche Gemeinde dann vollends.
Bereits wenige Jahre später hatte sich das Viertel beinahe komplett aufgelöst und spätestens mit dem ersten Weltkrieg war es mit der Deutschzugehörigkeit nicht mehr besonders vorteilhaft. Immer mehr deutschsprachige Begriffe verschwanden aus dem Wortschatz, mit deutschen Traditionen wurde gebrochen. Sogar der Deutschunterricht wurde in vielen Bundesstaaten verboten. Die deutschen Einwanderer indentifizierten sich mithin immer mehr mit ihrem neuen, anstatt ihres ehemaligen Heimatlandes.
Inzwischen lernt man wieder gerne Deutsch in New York – Der Unterricht war kurz nach dem 1. Weltkrieg verboten
Was wäre wenn?
Beinahe unglaublich finde ich diese Geschichte. Niemand hätte damals sicher ahnen können, welch bittere Folge das Schiffsunglück auf die gesamte deutsche Gemeinde haben würde und wäre das Unglück nicht passiert, sähe East Village heutzutage wahrscheinlich ganz anders aus.
Und so sind es leider nur die „Klischee“-Einrichtungen wie das Höfbrauhaus in New York, die man heutzutage noch im entferntesten als „Deutsch“ bezeichnen könnte. Schade eigentlich, wie ich finde. Ich liebe die Diversität an New York und dass man in der Stadt auch schonmal – zugespitzt ausgedrückt – das Gefühl haben kann, von einem in ein anderes Land zu spazieren, wenn man durch Manhattan läuft. Da wäre es doch sicher auch mal ganz nett gewesen, beim amerikanischen Pendant des „Bäckers von nebenan“ vorbeizuschauen, oder nicht?
Blick auf die Lower East Side und den East River (von Williamsburg aus)
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Schön geschrieben und eine interessante Geschicht 🙂
Liebe Grüße
Michael & Sandra
Lieben Dank ihr zwei! 🙂
Cool, sehr sehr interessanter Post. Das wusste ich gar nicht!! 🙂 Schade um die deutsche Kultur die damit verloren gegangen ist. Wäre interessant zu wissen „was wäre wenn“
lg
Ja, das frage ich mich auch. Wäre wirklich interessant mal zu erfahren, wie ein Little Germany dort heute aussehen würde. Wahrscheinlich an jeder Ecke Bäckereien und Brauereien 😀